Wiesenbewässerung in Freiburg 

 
Ausgedehnte Wässerwiesen und die dazugehörigen Bach- und Grabensysteme mit ihren technischen Anlagen prägten jahrhundertelang das Bild der Kulturlandschaft im Schwarzwald und der Oberrheinebene.

Die Wiesenbewässerung wird schon bei den Kelten vermutet, mit Sicherheit haben die Römer die Wässerung zur Ertragssteigerung ihrer Grünlandflächen angewandt. Möglicherweise gehen auch die Freiburger Stadtbächle auf ein ursprünglich zu Wässerungszwecken angelegtes Grabensystem zurück. Urkundlich erfahren wir in Freiburg erstmals im Jahr 1220 im Rahmen einer Schenkung an das Kloster Tennenbach von einem Bewässerungsrecht, "da das Land ohne Bewässerung unfruchtbar wäre". Zunehmende Streitigkeiten um das kostbare Produktionsmittel machten Vereinbarungen zwischen den Wasserberechtigten notwendig und führten schließlich ab 1462 zur Bildung von Runzgenossenschaften. Lange vor der Bildung der Genossenschaften gab es jedoch schon schriftliche Vereinbarungen zwischeneinzelnen Wassernutzern. Der erste bekannte Wässerungsvergleich wurde am 15. März 1272 am Nordarm des Gewerbekanals geschlossen. Drei Freiburger Klöster (Johanniter, Adelhausen, Tennenbach) kamen überein, das Wasser tageweise untereinander aufzuteilen:

"(...) Zu allen anderen Zeiten aber soll das Kloster Tennenbach nichts aus dem Bach ableiten, sondern die kleinen Runzgräben an den Kopfenden mit Pfählen und hölzernen Verschlüssen derart zuschlagen, dass der ganze Bach in seinem nätürlichen Verlauf ohne Verminderung durch das alte Bett zu den Gütern der anderen Partei hinabfließt. (…) Die Schleusen sind so festzumachen, dass nicht wieder hierdurch Anstoß zu Zwietracht gegeben werde."

Für die Wässerung besonders begehrt waren die Abwässer der Stadt, da sie stark mit Nährstoffen angereichert waren:

"Durch alle Straßen dieser Stadt läuft ein künstlich geführter Bach. Dieser nimmt die blutigen Säfte von Fleischern und Metzgern auf, den Gestank aller Küchen, den Schmutz aller Häuser, das Erbrochene und den Harn aller, ja sogar die Fäkalien von denen, die zuhause keine Latrine haben. Mit diesem Wasser werden die Leintücher gewaschen, die Weingläser gereinigt, ja sogar die Kochtöpfe." (Erasmus von Rotterdam, 1534).

Das "wertvolle" Wasser der Stadtbächle wurde zwischen dem 15. und 17. Jahrhundert weder in den Gewerbekanal noch in die vorhandenen sog. "nassen" Festungsgräben eingeleitet. Man führte sie einzeln mit Hilfe hölzerner "Kähner" (Holzrinnen) über diese Gräben und andere Hindernisse hinweg, direkt in das benachbarte Wiesengelände: So durch das Lehenertor auf die Hauptmannsmatten, durch das Predigertor auf die Claramatten oder durch das Mönchsthor auf die oberen Mistbachmatten.

Die mit dem Schmutzwasser bewässerbaren Wiesen waren die teuersten und begehrtesten der ganzen Stadt. Umgekehrt führte jede hygienische Maßnahme der Stadt sofort zu einem deutlichen Qualitäts- und Ertragsverlust der Wiesenstücke. So verloren bspw. die Wiesen der Eschholz- und Metzgergrün-Runz deutlich an Wert, als das Schlachthaus von der Metzgerau an die Dreisam verlegt wurde.

Ende des 16. Jahrhunderts fanden sich in Freiburg etwa 14 Runzgenossenschaften, die sich bis zum 18. Jahrhundert in fünf große Runzgenossenschaften zusammengeschlossen hatten. Es gab jedoch auch eine Reihe von nicht-genossenschaftlich bewässerten Flächen. Dies war z.B. bei den Kartauswiesen der Fall. Die Bildung einer Genossenschaft war hier nicht notwendig, da die Mönche am Kartauskanal das einzige Wasserrecht besaßen und sich mit niemandem anderen einigen mussten.

Ihre Blütezeit erlebte die Wässertätigkeit Ende des 19. Jahrhunderts, da eine rasch wachsende Bevölkerung die Intensivierung der landwirtschaftlichen Produktion notwendig machte. Staatliche Wiesenbauaufseher bereisten das Großherzogtum und errichteten Musterwässerungsanlagen. 1851 war mit dem badischen Wiesenkulturgesetz die Möglichkeit geschaffen, auch sogenannte Kulturunternehmungen auch gegen den Einspruch einzelner Besitzer durchführen zu können. So entstanden bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts rechts und links der 1817-1845 kanalisierten Dreisam 10 neue Wässerungsgenossenschaften.

Die älteste der "neuen" Runzgenossenschaften war die "Brechtern-Silberhof-Runz" auf der südlichen Dreisamseite bei Lehen. Sie wurde 1839 gegründet und hatte ca. 180 (!) Mitglieder. Unter der Aufsicht des aus den eigenen Reihen gewählten Runzmeisters und mit Hilfe des Runzknechtes, der die Was-serverteilung durchführte, bewässerten sie 76 Hektar Wiesenfläche.

Im ersten Drittel des 20. Jahrhundert hatte das Wässerungswesen in Freiburg seinen absoluten Höchststand erreicht: Wir finden hier 15 Runzgenossenschaften mit ca. 750 Hektar Wässerungsfläche. Weiterhin wurden mindestens 150 Hektar Wiesen nicht-genossenschaftlich bewässert. Rechnet man die ca. 220 Hektar Rieselwiesen des 1889 als städtische Abwasserreinigungsanlage errichteten Rieselgutes noch da-zu, so kommt man für Freiburg auf über 1.100 Hektar bewässerte Wiesenfläche.

Bald jedoch verloren die Wässerwiesen ihre ökonomische Bedeutung. Nach dem 2. Weltkrieg erlahmte das Interesse an den aufwendigen und kostspieligen Anlagen, die der Mechanisierung im Wege standen. Die düngenden Wirkung der Wiesenwässe-rung wurde ersetzt durch den arbeitssparenderen Einsatz von Mineraldüngern. Weite Grünlandflächen wurden zugunsten des Getreide- bzw. Maisanbaus aufgegeben. Die rasche Ausdehnung der Stadt führte vor allem zur Überbauung der mittelalterlichen Genossenschaftsflächen. Um 1970 war die Wiesenbewässerung in Freiburg vollständig verschwunden. An manchen Stellen lassen sich heute noch ehemalige Wäs-serungsgräben und Reste von Stellfallen entdecken.

Mit dem Verschwinden der Wässerwiesenkomplexe fehlen heute wichtige Retentionsflächen für Hochwässer. Die Wässerwiesen hatten auch einen bedeutenden Beitrag zur Grundwasserneubildung geleistet. Schließlich waren sie mit ihrem charakteristischen Wechsel von naß zu trocken ökologisch besonders wertvolle Flächen - insbesondere als Brut-, sowie Rast- und Nahrungsbiotop für viele, z.T. stark gefährdete Vogelarten.

Aus den genannten Gründen ist im Verlauf der letzten Jahre das Interesse an den Wässerwiesen wieder erwacht. Einzelne Wiesenwässerungssystemen sind bereits reaktiviert. Eine große Anlage, das Naturschutzgebiet "Elzwiesen", befindet sich nördlich von Freiburg zwischen Oberhausen und Rust. Eine typische Schwarzwald-Hangbewässerung wurde im Moosalbtal wieder aufgenommen. An der Hegauer Ach wurde in Beuren die Wässerung als naturschutzrechtliche Ausgleichsmaßnahme wieder eingerichtet.

Im Bereich der Stadt Freiburg erfolgten bisher keine Reaktivierungen von Wiesenwässerungsflächen. Zwei der Runzgenossenschaften sind heute noch akiv, wässern allerdings keine Wiesen mehr. Die "Metzgergrün- und Eschholzrunz" besteht seit 1462 am Südarm des Gewerbekanals und hieß früher "Obere Runz der Wiesenbesitzer". Ihre Wasserrechte dienen heute der Bewässerung von Kleingärten. Die "Runz der Werkbesitzer" (seit 1544) war immer schon vorrangig ein Zusammenschluß von Mühlen- bzw. Werksbesitzern und nutzt den Gewerbekanal heute vor allem zur Stromerzeugung und als Kühlwasser.

Quelle: SCHWINEKÖPER, Katrin, SCHÜLE, Eva-Maria & Werner KONOLD (1996): Zur Geschichte der Wässerungsgenossenschaften am Beispiel der Stadt Freiburg. In: Alemannisches Jahrbuch 1995/96, S. 257-292.